Stellen Sie sich vor, Ihre Top-Mitarbeiterin kündigt – all das Wissen und die Erfahrung, welches diese Person über Jahre hinweg angesammelt hat, verlassen Ihr Unternehmen – in nur wenigen Tagen. Mal abgesehen von den geschäftlichen Beziehungen, die über die Zeit geknüpft wurden. Die Folgen sind gravierend: Ein passendes Talent zu finden, einzuarbeiten und zu integrieren kostet nicht nur Zeit, Geld und vor allem Nerven, sondern hat auch direkten Einfluss auf die Teamdynamik.
Mitarbeiterfluktuation oder Personalfluktuation (engl. Employee Turnover) ist in vielen Branchen längst mehr als nur eine HR-Kennzahl. Denn dieser Indikator zeigt peinlich genau auf, wie gut es einer Organisation gelingt, seine besten Köpfe zu halten und langfristig zu fördern. Unternehmen, die diesen Aspekt vernachlässigen, riskieren sowohl hohe Kosten als auch den Verlust ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Denn nicht selten hängt ein Unternehmenserfolg von einigen Schlüsselpersonen ab.
Warum kündigen Mitarbeitende überhaupt? Und was können Unternehmen tun, um diese Abgänge zu verhindern? Beides weite Bereiche, deswegen konzentriert sich dieser Artikel auf die zentralen Gründe hinter der Mitarbeiterfluktuation und gibt praxisorientierte Tipps, wie Unternehmen eine stabile, loyale und produktive Belegschaft aufbauen und halten können.
Mitarbeiterfluktuation – eine Definition
Die Mitarbeiterfluktuation beschreibt die Rate, mit der Mitarbeitende ein Unternehmen verlassen und durch neue Personen ersetzt werden. Grundsätzlich gibt es drei Arten der Fluktuation, die in natürlichen (z. B. Ruhestand oder familiäre Gründe), unternehmensinternen (z. B. Abteilungswechsel) und unternehmensfremde Fluktuationen unterschieden werden. Die Mitarbeiterfluktuation ist kritisch für die Unternehmensführung, da sie sowohl die Stabilität des Teams als auch die Planung der Personalressourcen beeinflussen. Dabei ist die unternehmensfremde Fluktuation bzw. Mitarbeiterfluktuation der größte Risikofaktor einer Organisation. Eine Unterart dieser Fluktuation ist die sogenannte Frühfluktuation.
Von Frühfluktuation spricht man, wenn Mitarbeitende kurz nach ihrer Einstellung kündigen und das Unternehmen verlassen. In der Regel erfolgt die Kündigung auf Initiative der Arbeitnehmenden. Der genaue Zeitraum, in dem von einer Frühfluktuation gesprochen wird, ist nicht einheitlich definiert. Oft wird dieser Zeitraum jedoch von der Vertragsunterzeichnung bis zum Ende der Probezeit festgelegt.
Zur Berechnung der Fluktuationsrate existieren unterschiedliche Methoden, die je nach Unternehmensstruktur und Datenverfügbarkeit angepasst werden können. Die Basisformel berechnet die Fluktuation beispielsweise durch die Quote der Abgänge im Verhältnis zum Anfangspersonalbestand. Weiterführende Ansätze, wie die Schlüter-Formel, berücksichtigen auch die Zugänge während des Betrachtungszeitraums und liefern ein differenzierteres Bild der personellen Dynamik im Unternehmen (siehe Abb. 1).
Diese verschiedenen Berechnungsansätze ermöglichen es, gezielt Rückschlüsse auf die Personalbindung zu ziehen. Je nach Methode lässt sich erkennen, ob die Fluktuation im Vergleich zur Branche hoch oder niedrig ist, und ermöglicht es Unternehmen, gezielte Maßnahmen zu entwickeln, um diese Rate zu optimieren.
Im Großen und Ganzen ist die Mitarbeiterfluktuation eine zentrale Kennzahl im HR-Management, die das Unternehmen auf potenzielle Herausforderungen in der Mitarbeiterbindung aufmerksam macht.
Mitarbeiterfluktuation in Deutschland
Auch wenn uns die Medien das Gefühl geben, dass heutzutage mehr Menschen (wie z. B. die Gen Z) den Job wechseln, ist die Fluktuationsrate in Deutschland praktisch konstant. Historisch sank die Rate auf knapp 30 % während der Corona-Pandemie im Jahre 2020 – jetzt sind wir wieder auf Vorkrisenniveau.
Was allerdings auf die Generation Z (ca. 1995-2010) zutrifft, ist tatsächlich die hohe Fluktuationsrate im Vergleich zu anderen Altersgruppen (Abb. 4). Hier spielt allerdings der Einstieg ins Arbeitsleben eine entscheidende Rolle, insbesondere für Auszubildende. Zudem sind auch Jobwechsel im Rahmen einer beruflichen Neu- oder Umorientierung relevant, wie etwa während der Probezeit.
Analyse der Gründe für die Mitarbeiterfluktuation
Die Ursachen der Mitarbeiterfluktuation sind genauso vielfältig wie die Mitarbeitenden selbst und können oft tieferliegende Probleme in der Unternehmensstruktur oder -kultur widerspiegeln. Ein detailliertes Verständnis dieser Gründe ist zentral für eine gezielte Gegensteuerung. Die wichtigsten Einflussfaktoren lassen sich in folgende Kategorien gliedern:
1. Fehlende Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten
In vielen Fällen sind Mitarbeitende unzufrieden, wenn sie das Gefühl haben, beruflich festzustecken. Unternehmen, die keine klaren Karrierepfade oder Weiterbildungsangebote bieten, riskieren, dass ambitionierte Talente nach neuen Herausforderungen suchen. Mitarbeitende erwarten eine klare Vision ihrer beruflichen Entwicklung – insbesondere in digitalisierten Arbeitsumfeldern, in denen Kompetenzen schnell veralten. Die fehlende Möglichkeit zur Weiterentwicklung ist ein wesentlicher Faktor für eine erhöhte Fluktuation.
2. Belastung und Work-Life-Balance
Eine ungesunde Work-Life-Balance, oft verbunden mit zu hohem Arbeitsaufkommen und fehlender Flexibilität (vor allem fehlende Flexibilität!), kann auf lange Sicht zur Erschöpfung der Mitarbeitenden führen. Moderne Mitarbeitende sehnen sich zunehmend nach flexiblen Arbeitsmodellen wie Home-Office und Gleitzeit, die eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ermöglichen. Besonders bei Personen mittleren Alters gibt es häufig eine Doppelbelastung in Form von Zuwendung für die eigenen Kinder als auch (pflegebedürftige) Eltern. Fehlende Anpassungen in diesem Bereich führen häufig zwangsläufig zu einem erhöhten Wechselwunsch.
3. Führung und Unternehmenskultur
Die Beziehung zu Vorgesetzten und das Führungsverhalten im Allgemeinen spielen weiterhin eine zentrale Rolle für die Zufriedenheit im Job. Ein autoritärer Führungsstil, der wenig Eigenverantwortung zulässt oder Mitarbeitende kaum wertschätzt, kann die Motivation nachhaltig beeinträchtigen. Wirtschaftswissen.de betont, dass Mitarbeitende in solchen Umgebungen oft das Gefühl haben, sich nicht ausreichend entfalten zu können oder als Individuen nicht gesehen zu werden. Unternehmen, die auf eine unterstützende, transparente und wertschätzende Führung setzen, können die Mitarbeiterbindung erheblich stärken.
4. Zwischenmenschliche Spannungen und Teamdynamiken
Auch soziale Aspekte im Arbeitsumfeld tragen zur Fluktuation bei. Konflikte im Team, unzureichende Unterstützung durch Kolleg:innen oder eine unausgeglichene Teamdynamik fördern Unzufriedenheit. Mitarbeitende fühlen sich in solchen Fällen oft isoliert oder nicht ausreichend integriert. Fehlende Maßnahmen zur Konfliktbewältigung und Teambildung verstärken diesen Effekt und treiben letztlich die Fluktuationsrate nach oben.
5. Private und persönliche Gründe
Natürlich sind nicht alle Fluktuationsfaktoren intern steuerbar. Private Umstände wie familiäre Verpflichtungen, gesundheitliche Veränderungen oder ein geographischer Umzug können ebenfalls zu einem Arbeitsplatzwechsel führen. Allerdings können Unternehmen solche Abgänge teilweise durch flexible Regelungen verhindern – etwa durch das Angebot, ortsunabhängig zu arbeiten.
Im Allgemeinen sind die Ursachen für die Mitarbeiterfluktuation komplex und oft auf eine fehlende Anpassung an die persönlichen und beruflichen Bedürfnisse der Mitarbeitenden zurückzuführen. Wie Unternehmen diese Fluktuationsrate senken und eine langfristige Mitarbeiterbindung fördern, schauen wir uns als nächstes an.
Wege zur Reduzierung der Mitarbeiterfluktuation
Wir erwähnen es immer wieder: Ein zentraler Ansatz zur Reduzierung der Mitarbeiterfluktuation besteht darin, eine Arbeitskultur zu schaffen, die die Bedürfnisse und Erwartungen der Mitarbeitenden ernst nimmt. Die folgenden Strategien können Unternehmen dabei helfen, Mitarbeitende langfristig zu binden und die Fluktuationsrate zu senken:
1. Klare Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten schaffen
Wir empfehlen, regelmäßige Entwicklungsgespräche zu führen und Karrierepfade transparent zu gestalten. Mitarbeitende, die eine klare Vorstellung von ihrer Zukunft im Unternehmen haben, sind eher bereit, sich langfristig zu engagieren. Förderprogramme und kontinuierliche Schulungen zur persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung bieten einen spürbaren Mehrwert und stärken die Mitarbeiterbindung. Mehr zum Thema finden Sie auch in unserem Artikel über strategische Mitarbeiterentwicklung.
2. Förderung der Work-Life-Balance durch flexible Arbeitsmodelle
Die Einführung flexibler Arbeitszeiten und die Möglichkeit, im Home-Office oder ortsunabhängig zu arbeiten, zählen zu den effektivsten Maßnahmen zur Steigerung der Zufriedenheit. Flexibilität steht ganz oben auf der Wunschliste von Angestellten und wird besonders von Top-Fachkräften eingefordert. Unternehmen sollten hier nicht nur die Möglichkeiten bieten, sondern auch gleichzeitig aktiv dafür werben, dass Mitarbeitende diese in Anspruch nehmen, um einem Burnout vorzubeugen. Besonders in modernen Arbeitsumgebungen erwarten viele Mitarbeitende eine solche Flexibilität als Basis ihrer Arbeitskultur. Wie das funktioniert? Lesen Sie dazu den Beitrag von unserem Partner PALTRON: Von der Distanz zur Einheit: So funktioniert Remote Work erfolgreich
3. Wertschätzende Unternehmenskultur und unterstützende Führung
Eine transparente und wertschätzende Führungskultur kann den Unterschied in der Mitarbeiterbindung ausmachen. Eine Wertschätzung steht hoch im Kurs bei Angestellten. Wichtig: Führungskräfte müssen aktiv Feedback einholen und auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Teams eingehen. Eine Führung, die Vertrauen und Eigenverantwortung fördert, stärkt das Engagement und die Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Unsere Kolleg:innen von CareerTeam haben einen wertvollen Beitrag über das strategische Upskilling von Führungskräften geschrieben.
4. Teambildung und Konfliktmanagement
Die Unterstützung positiver sozialer Dynamiken im Unternehmen ist eine weitere wesentliche Maßnahme. Unternehmen sind gut beraten, aktiv in Teambuilding-Aktivitäten zu investieren und Konfliktlösungsstrategien entwickeln sollten, um zwischenmenschliche Spannungen zu reduzieren. Regelmäßige Team-Events und offene Kommunikation tragen zur Bildung eines starken Zusammenhalts bei und fördern ein positives Arbeitsklima. Auch hier stellt sich wieder die Frage: Pflegen Sie Ihre Unternehmenskultur ausreichend?
5. Attraktive Mitarbeiterbenefits anbieten
Und nicht zuletzt – ein weiteres Instrument zur Senkung der Fluktuation sind wettbewerbsfähige Benefits, die gezielt auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden zugeschnitten sind. Gehälter und Zusatzleistungen sollten regelmäßig evaluiert und an die Marktstandards angepasst werden, um das Unternehmen als attraktiven Arbeitgeber zu positionieren. Benefits wie betriebliche Altersvorsorge, Budgets für Weiterbildung oder kostenlose Fitnessangebote schaffen zusätzliche Anreize für die Mitarbeitenden. Apropos Benefits – in unserem letzten Artikel “Warum individuelle Arbeitsbedingungen der Schlüssel zur Mitarbeiterzufriedenheit sind” stellen wir auch individuelle Benefits und ihre Vorzüge vor.
Daneben bildet selbstverständlich ein attraktives Vergütungspaket häufig die Grundlage der Mitarbeiterzufriedenheit. Neben dem Gehalt bieten die gerade vorgestellten individuellen Benefits als auch individuelle Arbeitsbedingungen Spielraum für Unternehmen. Das Gesamtpaket muss stimmen. Lesen Sie dazu unseren Beitrag: “Attraktive Vergütungspakete für digitale Profis” sowie “Employee Retention – 10 Maßnahmen jenseits des Gehalts, um ihre Belegschaft zu binden”.
Fazit
Mitarbeiterfluktuation stellt eine Herausforderung für jedes Unternehmen dar. Die zuvor genannten Strategien zeigen, dass eine umfassende, mitarbeiterorientierte Unternehmensstrategie der Schlüssel zur Senkung der Fluktuationsrate ist.
Es ist jedoch nicht nur die Umsetzung einzelner Maßnahmen, sondern die konsequente Ausrichtung der gesamten Unternehmenskultur, die eine nachhaltige Wirkung erzielt. Von Entwicklungsprogrammen und flexiblen Arbeitsmodellen bis hin zu einer wertschätzenden Führung – Unternehmen, die in das Wohlbefinden und die Zufriedenheit ihrer Mitarbeitenden investieren, schaffen eine Umgebung, in der Talente nicht nur kommen, sondern auch bleiben möchten. Und am Ende des Tages profitieren alle Parteien von einer positiven und produktiven Arbeitskultur.